Agilität hat viel mit Bewegung zu tun, auch mit Bewegungen des Geistes. Improvisationstheater setzt genau dort an. Wo liegen Gemeinsamkeiten zwischen Improv und Agile? Und wo lohnt es sich für Agilist:innen, genauer hinzusehen?

Agilität bedeutet zunächst nur, beweglich zu sein: auf Situationen angemessen eingehen zu können und sich verändern zu lassen.

Spannenderweise funktioniert dieser Satz genau so auch mit Improvisation:

Improvisation bedeutet zunächst nur, beweglich zu sein: Auf Situationen angemessen eingehen zu können und sich verändern zu lassen.

Keine Angst – niemand wird notgedrungen auf Bühnen gehen und der Kreativität freien Lauf lassen müssen! Jedoch ist es spannend, den Fokus auf die Stärken der Improvisation zu legen. In Klammern finden sich die Themenbereiche, die ich einfachheitshalber aus Scrum entnommen habe:

  • Sage „Ja, und…“ (Offenheit)
  • Sei aufmerksam (Fokus, Commitment/Hingabe)
  • Höre aktiv zu (Respekt)
  • Lass Fehler zu (Transparenz, Inspektion, Adaption)
  • Lass Impulse zu (Retrospektive, Planning)
  • Lass Ideen los und wechsle den Standpunkt (Planning)

Für mich sind diese Schnittmengen aus der Improvisation und Scrum einen näheren Blick wert.

Sage „Ja, und…“ (Offenheit)

Im Improvisationstheater ist es von großer Bedeutung (und eigentlich eins der ersten Dinge, die man beigebracht bekommt), zu den Impulsen des Gegenübers „Ja, und…“ zu sagen. Das eröffnet Szenen, lässt Themen sich entfalten und führt inhaltlich oft in Bereiche, die sich niemand zuvor hätte denken können.

Das krasse Gegenbeispiel ist „Ja, aber…“. Es gibt einen spürbaren Unterschied im Arbeiten, wenn alle im Team Ideen offen empfangen und sie immer wieder neu bewerten. Das bedeutet allerdings nicht, dass Kritik keine Rolle spielt.

Wie kann ich das anwenden?

Probiere aus, in einem Planning genau darauf zu achten, wie oft „Ja, aber…“ gesagt wird. Schau mal, ob durch eine Phrasenänderung auf „Ja, und…“ eine neue Energie entsteht. Oder nimm den Impuls, wie oft „Ja, aber…“ gesagt wurde, als Diskussionsgrundlage für die Retrospektive.

Sei aufmerksam (Fokus, Commitment/Hingabe) & höre aktiv zu (Respekt)

Improvisationstheater lebt davon, dass den Spielern kleine Details auffallen, auf denen sie weitere Erzählstränge oder Geschichten aufbauen können. Das können Details in Gesprächen, aber auch in der Körpersprache oder in der Position auf der Bühne sein. Dabei versucht der Improvisationsspieler, sich ganz auf den Bühnenpartner zu fokussieren. Was er sieht, gibt ihm den Impuls, eine weitere Seite der Geschichte aufzubauen. Mit diesem Geben und Nehmen werden ganze Erzählstränge aufgebaut.

Scrum erfordert besonders vom Scrum Master viel Aufmerksamkeit. Gibt es zwischen den Zeilen ungesagte Botschaften? Gibt es Themen, die sich bisher nicht im Backlog befinden? Es ist sehr hilfreich, wenn der Scrum Master als Art Reflektionsschild seine Eindrücke ins Team zurückgibt.

Wie kann ich das anwenden?

Versuche, als Scrum Master tatsächlich mental da zu sein. Handy und E-Mail kann man sich später wieder zuwenden. Versuche, Dinge, die gesagt wurden, mit deinen Worten zu wiederholen. Vielleicht werden dadurch schon Missverständnisse ausgeräumt. Versuche, Dinge, die dir auffallen, einfach nur zu sehen. Also zum Beispiel: „Frank, ich sehe, du hast die Arme verschränkt. Was denkst du zu dem Thema?“ anstelle von „Frank, du wirkst angespannt, was ist denn?“

Lass Fehler zu (Transparenz, Inspektion, Adaption) & lass Impulse zu (Retrospektive, Planning)

Im Improvisationstheater geht es darum, Mut zu Fehlern zu haben. Wir machen Übungen, die darauf ausgelegt sind, dass wir sie nicht schaffen. Das klingt zunächst sehr unfair und unsportlich. Durch diese Übungen gelingt es jedoch, das gesellschaftliche Richtig/Falsch-Denken kurzzeitig abzuschwächen und richtig Spaß am fehlerhaften Chaos zu haben. Der Spruch, den wir uns häufig sagen, lautet scheiter heiter! Daraus erwachsen dann teilweise sogar neue Zweige in Szenen, die vorher keiner sah.

In Scrum ist nicht unbedingt das Machen von Fehlern Teil des Frameworks, wohl aber das Lernen daraus. Genau so wie im Improvisationstheater geschehen Fehler. So sind wir Menschen nunmal. Was sehr unterschiedlich ist, ist der Umgang mit ihnen. Ich bin ein Verfechter davon, Fehler offen anzusprechen und zu sehen, wie man sie in Zukunft vermeiden kann. Keine Auswirkung kann durch Blaming rückgängig gemacht werden

Wie kann ich das anwenden?

Für das Team gilt zu prüfen, ob man in der Retrospektive tatsächlich die Hosen runterlässt. Nehmen alle teil? Spricht man die wirklichen Probleme an? Gibt es Handlungsmaßnahmen, um in Zukunft zumindest diesen Fehler nicht mehr zu machen?

Lass Ideen los und wechsle den Standpunkt (Planning)

Manchmal möchte man in einer Improvisationsszene seine lieb gewonnene Idee durchsetzen. Man möchte gar nicht so stark auf den/die Bühnenpartner:in achten sondern etwas eigenes einzubringen. Dadurch kann es sein, das man ein tolles Angebot, einen Impuls des Gegenübers nicht wahrnimmt und so etwas verloren geht. Das ist nicht weiter schlimm – Fehler dürfen und sollen gemacht werden – könnte aber anders laufen. Man möchte seinen Bühnenpartner immer gut aussehen lassen. Das geschieht dadurch, dass man viel auf ihn eingeht und nur an den nötigen Stellen mit einer relaxten Attitüde Impulse hinein gibt.

Im Planning und vielleicht auch im Review gilt es für das Team, besonders gut darauf zu achten, ob man gerade seine eigene Idee (und wir haben unsere Ideen meist sehr, sehr gern) durchsetzen möchte oder aber den Ansatz verfolgt, der das Team insgesamt voran bringt.

Wie kann ich das anwenden?

Nachdem man das Thema Ideen und sie loslassen beschrieben hat, kann man testweise offen in einem Planning darüber sprechen, wann Ideen aufkommen. Und wie einfach es für jede:n Einzelne:n ist, sie loszulassen. Wenn man das Bewusstsein hierfür schärft wird klar, dass man nicht die Person angreift, wenn eine Idee nicht wirkt, sondern dass vielleicht dieser gedankliche Output hier gerade nicht hilft. Du hast eine Idee? Teile sie, aber lass sie auch gerne gehen, wenn du den Eindruck hast, sie wurde verstanden.

Tobias Maasland unterstützt als Scrum Master und Agile Coach Teams wie auch Organisationen dabei, aus traditionellen Herangehensweisen ins Agile zu kommen. Für schon etablierte Teams und Organisationen coacht er schwerpunktbasiert. Er produziert seinen Comedy-Podcast zusammen mit seinem Aufnahmepartner auf improvisierte Art und Weise. Wer die Themen aus diesem Post in den Episoden nachvollziehen möchte, der höre unter https://mitohneahnung.de hinein.

Dieser Beitrag wurde zuerst auf inovex.de veröffentlicht.

Photo by stefano stacchini on Unsplash

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